Wiener Schule für Kunsttherapie

Zur Kunstauffassung in der Wiener Schule für Kunsttherapie

 

Marbod Fritsch

künstlerischer Leiter an der Wiener Schule für Kunsttherapie

© 2021

 

Ich darf vorausschicken, daß ich keinerlei Ausbildung im therapeutischen Feld habe, sondern nach einigen studienmäßigen Umwegen ein Studium der Malerei und Graphik an der Hochschule für Angewandte Kunst in Wien absolviert habe. 

Begonnen hat meine Verbindung mit der WSK mit dem Vermieten meines Ateliers. Danach stand die Frage im Raum, ob ich nicht selbst die künstlerisches Workshops an der WSK leiten möchte. 
Bis dahin hatte ich aber noch nie mit Erwachsenen bzw. im Weiterbildungsbereich gearbeitet. Mittlerweile bin ich seit über 25 Jahren an der WSK. Die Leitung der WSK hat damals offensichtlich in mir ein Potential erkannt, das mir nicht bewußt war. Nun jene kreativen Potentiale, die in den Teilnehmer*innen schlummern, freizulegen, dies ist mein Ziel der künstlerischen Workshops an der WSK.
 
KUNST / THERAPIE 
Da ein Kunstwerk mehr als die Summe von Material und Farbe ist, sondern auch viel tiefer liegende Energie beinhaltet, kann es tief in unser Bewußtsein vordringen. Dieses Unaussprechliche ist ein immanenter Anteil von Kunst. Ohne diese spezielle Wirkungsweise von Kunst wäre Kunsttherapie nicht möglich. Denn genau diese Wirkung „nutzt“ die Kunsttherapie, indem sie Bildern einen über die sprachliche Fassbarkeit erweiterten Raum zuschreibt. Diesen Raum versuchen die Klienten mit therapeutischer Hilfe zu öffnen und zu betreten.
 
Aber an Kunst werden andere Ansprüche gestellt als an Bilder, welche während einer therapeutischen Sitzung entstanden sind. Denn das Bezugssystem unterscheidet sich fundamental. In der Kunst sind es kunstgeschichtliche Bezüge, die inhaltliche Verbindung zu anderen Werken, der Ort der Präsentation und sogar der momentane Stellenwert der Künstler*innen, die unsere Wahrnehmung und Einordnung des Werkes beeinflussen. Bei einer Arbeit, die im kunsttherapeutischen Setting entstanden ist, steht vor allem die Beziehung zwischen Klient*innen und Werk im Vordergrund, in weiterer Folge, jene zwischen Klient*innen und Therapeut*innen. 
 
Kunst zeigt uns die spezielle Sichtweise eines einzelnen/einer Gruppe auf die Welt und richtet sich an einen Dritten, d.h. will mit dem Außen in einen Dialog treten. Nur das genaue Hinsehen der Künstler*innen erlaubt uns einen Einstieg und macht für uns das Werk für eine eigene Sichtweise zugänglich. 
Auch im kunsttherapeutischen Prozeß wird versucht,  das Vergrabene, Verschüttete wahrnehmbar zu machen und den Kern einer Thematik freizulegen. Diese Frei- und Offenlegen wird im Unterschied zum künstlerischen Tun aber mit Hilfe von Therapeut*innen unterstützt. Das Resultat könnte aber im Idealfall das gleiche sein: die tiefgründige Auseinandersetzung mit sich und seiner Umwelt. Im Falle der Kunst auf Seiten der Betrachter*innen, im Bereich der Kunsttherapie auf Seiten des Klient*innen.

 

Irmgard Maria Starke , © Wien 2009

 

Die Suche nach dem ureigenen Ausdruck in dieser Welt in Bezug auf die Welt selber, ihre Gesetzte, ihre Vielfältigkeit und ihre Grenzen ist Thema der Kunst. Sich dabei nicht von den vorherrschenden Normen leiten zu lassen, die vom Markt und von der Gesellschaft aufgestellt werden, sondern auf die Suche gehen nach dem Wesen der Dinge und dem, was ihnen zugrunde liegt.

 

Der Mensch ist  seinem Wesen nach zur Freiheit veranlagt. In der Freiheit liegt seine Kreativität begründet, seine Fähigkeit, Schöpfer zu sein. Es gilt, diese Freiheit zu wecken und die Kreativität auszubauen und zu einer Fähigkeit, einer gestaltenden Kraft zu machen.

Diese gestalterische Kraft ( hierin folgen wir z.B. Beuys ) ist nicht auf den Bereich der bildenden Kunst beschränkt und eingeschränkt. Sie ist ein Lebensprinzip. Jedoch ein Prinzip, das verlangt, daß es in einem bestimmten Augenblick in eine bestimmte konkrete Form gebracht wird. Eine Form, die der ureigenen Wahrheit Wahrheitssuche entspricht. Eine Form, die den individuellen Ausdruck nicht einem fiktiven allgemeinen Zusammenhang unterordnet, sondern einen allgemeingültigen Zusammenhang durchscheinen läßt.

 

Künstlerisches Schaffen wie auch Kunsttherapie haben etwas mit Wahrnehmung zu tun:

In der künstlerischen Arbeit wird versucht das, was  der Künstler/die Künstlerin aufnimmt  und erfährt,  möglichst genau  wahrzunehmen und zu gestalten.

In der therapeutischen Arbeit wird versucht das, was durch den anderen hindurchgeht möglichst genau wahrzunehmen und Gestaltung werden zu lassen.

 

Beides ist derselbe Prozess.

 

Im künstlerischen Prozess stehe ich im Dienste meiner eigenen Bilder, im kunsttherapeutischen Prozess stehe ich im Dienste der Bilder der/des Anderen.

Hier liegen die  Bedeutung der Kunst und der Sinn der künstlerischen Übung in der  Ausbildung zum Kunsttherapeuten/zur Kunsttherapeutin:

 

- die Wahrnehmung zu intensivieren

- die eigenen Grenzen auszuloten und zu überschreiten (und/oder wahrzunehmen).
- Kunst nicht  als Instrument kennenzulernen, sondern in ihrer Eigengesetzlichkeit
die eigene Freiheit zu bilden und ihre Form zu finden, die innerlichen Klänge und die Sammlung der Kraft. Alles andere ist, wie Kandinsky es sagt: „ Kunst für die Kunst „ (über das Geistige in der Kunst ab Seite 25). Und wie Beuys sagt : „ Man muß trainieren, um in hohe Schichten des Denkens zu kommen, zu Inspiration und Intuition“

 

So versteht sich die Wiener Schule als Ausbildungseinrichtung, die dieses Training ermöglicht und strukturiert anbietet.

Die Abschlußprüfung zeigt , welche Sprache  jede/r  für sich gefunden hat:

wie formt jede/r das Grundprinzip für sich aus?
Wie begründet er/sie die Form, die er/sie wählt?
Wie bewußt ist ihm seine Wahl?